Corona ist ein Elefant

Bist du für den Rüssel oder das Bein?

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27. April 2021 von Conny Dollbaum-Paulsen

Gestern las ich von zwei mit mehreren Doktortiteln hochdekorierten Professoren, beide in leitenden Positionen an Kliniken tätig, Folgendes: „Der Lockdown kommt zu spät und wird nicht konsequent genug umgesetzt“ schrieb der eine, der andere ließ verlauten: „Der Lockdown ist ein denkbar untaugliches Mittel, die Infektionszahlen zu minimieren, er schadet und muss sofort beendet werden“. Beide belegten ihre Aussagen natürlich mit Fakten, Forschungsdaten und wissenschaftlicher Begründung.

An dieser Stelle könnte nun eine Sammlung widersprüchlicher Argumentationen aufgelistet werden, wobei es sich wohlgemerkt nicht um politisch-nutzbare-esoterisch-verbrämte Verlautbarungen handelt, sondern um solche von Menschen, die…es besser wissen könnten.

Der Elefant ist nicht sein Rüssel

Dazu gibt es eine vielen bekannte Weisheitsgeschichte aus Indien: Sechs Blinde sollen beschreiben, was ein Elefant ist – um die Frage richtig beantworten zu können, werden sie an verschiedenen Stellen des Tieres positioniert: am Schwanz, am Bein, am Rüssel, am Stoßzahn, am Ohr und am Bauch. Nun werden sie nacheinander dazu befragt, was ihrer Meinung nach ein Elefant sei – und klar, der Rüsselhalter antwortet anders als der, der ein Ohr ertastet und dieser anders als derjenige, der sich am Bein anlehnt.

Dummerweise haben alle Recht – sie sprechen darüber, was sie sehen/ fühlen und schließen daraus, sie wüssten, wie das Ganze, ein Elefant, aussähe.

Wir denken, wir sehen die Dinge wie sie sind – tatsächlich sehen wir die Dinge die wir denken.

Leider weiß ich nicht mehr, von wem dieser Satz ist, er sagt, in modernen Worten, was die Elefantengeschichte seit mehr als 2000 Jahren zeigt: Wir sehen die Welt durch ein Bambusrohr und halten sie für das Universum…

Corona ist ein großes Ganzes

Je nachdem, welchen Hintergrund wir persönlich haben, gefallen uns manche Corona-Argumente gut und andere nicht – wir bilden uns eine Meinung aus Schnipseln, die wir zu teils bizarren Collagen zusammenkleben. Das wäre alles gar nicht tragisch, wenn daraus nicht ein unangenehm polar aufgeladenes Gesellschaftsgeschehen entstünde, welches weder der Gesundheit noch der Demokratie guttut. Noch schlimmer wird das Ganze, wenn wir auf Wissenschaftlichkeit pochen und damit meinen, was in Unis und Labors so erforscht würde, wäre grundsätzlich und für alle Zeiten wahr - dann werden vorläufige Vermutungen zu Wahrheiten und diese zu Politik, was nicht immer leicht auszuhalten ist.

In der ganzheitlichen Gesundheitsmedizin haben wir mit dem Elefantenbild ein kleines bisschen Erfahrung, in der Wissenschaft übrigens auch: wir wissen um die Wirksamkeit unserer Methode, um die Sorgfalt des Forschungsansatzes UND wir wissen: Es handelt sich um einen Schnipsel…der, zu allem Überfluss, auch noch veränderlich ist.

„Wissenschaftliche Wahrheiten sind weniger haltbar als frischer Fisch…“, ein Satz aus dem Mund eines Wissenschaftlers, zeigt: wir bewegen uns immer auf unsicherem Grund mit unseren Erkenntnissen und Meinungen.

Gen-Mediziner*innen sehen ein anderes Virus als Verhaltensbiolog*innen, Psychotherapeut*innen sehen andere Virusgefahren als Amtsärzt*innen in Gesundheitsämtern. Homöopath*innen schauen anders als TCM-ler*innen, Politiker*in auf Bundesebene nehmen anders und Andres wahr als ihre Bürger*innen – Junge schauen anders als Alte, Impfbefürworter*innen anders als -Gegner*innen…das sagt viel aus über die Perspektiven und nur sehr bedingt etwas über das, was Corona, oder ein Elefant, insgesamt ist…

Viele Dimensionen – nicht beliebig!

„Wir wissen es alle nicht…“ – dieser Satz aus den Mündern von Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Gesundheitsamtsleiter*innen ist schwer auszuhalten, er verunsichert, macht Angst, vor allem dann, wenn meine Existenz bedroht ist, weil ich seit Monaten nicht arbeiten kann, meine Kinder mich im Homeschooling an den Rand des Wahnsinns treiben, meine Mutter isoliert im Krankenhaus gestorben ist, um nur einige wenige Horror-Erfahrungen zu skizzieren.

Wir haben uns in Westeuropa so schön eingerichtet mit unserem Schnipsel-Elefantenbild: vor Corona schienen unsere Leben sicher, vorhersehbar, planbar – mit Unwägbarkeiten, klar, aber irgendwie doch sehr komfortabel. Jedenfalls für sehr viele von uns, längst nicht für alle, aber das konnten wir geübt ausblenden (das gelingt gerade immer schlechter, zum Glück!).

Der Elefant ist lebendig – für alle

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Wahrnehmung und den daraus resultierenden Schlüssen gibt es sowohl im alten Indien als auch im modernen Westeuropa einen Lichtblick, nämlich dann, wenn alle auf das Gemeinsame schauen und nicht auf das Trennende: Lebendigkeit, Behaarung, raue Haut und Kraft – auch das ist der Elefant, und zwar überall und immer schon.

Eine Möglichkeit, die Geschichte weiterzuerzählen wäre ja, alle sechs den Platz tauschen zu lassen – da würde aus dem Schlauchartigen ein Lappen, aus der Säule ein Seil und aus dem Riesensack ein gebogener Stab…bezogen auf Corona könnten wir das auch mal versuchen – den Meinungs-Platz zu tauschen und zu versuchen, die Welt aus anderen Augen zu sehen – einen Versuch wäre es wert…

Was daraus werden kann?
Vielleicht, sich bei allen Äußerungen und Verhatensweisen zu fragen, ob damit die Angst vermehrt, die Verunsicherung vergrößert, der Graben vertieft, der Demokratie-Zweifel geschürt wird. Ganz sicher wäre schon vieles besser, wenn wir alle so freundlich, liebevoll, mitfühlend und großherzig versuchten zu handeln, wie es uns möglich ist...egal wann, egal, wo, egal mit wem...