MAKE EVERY MOVE A MEDITATION

Mentale Gesundheit, Wohlbefinden und Klarheit

Ach, wie wunderbar diese drei Geisteszustände sind – statt krauser Gedanken im Kopf, statt an diesem und jenem zu leiden, statt Verwirrung und Chaos zu erleben, laden wir Gesundheit, Wohlbefinden und Klarheit ein. Gute Idee! Nun gibt es eine unüberschaubar große Menge an Achtsamkeits- und Meditationsbüchern, die uns dieses oder Ähnliches versprechen. Was ist also das Besondere an diesem Titel?

Sehr einfach: Nita Sweeney lädt die Leser:in ein, das viel empfohlene Sitzkissen oder Bänkchen zu verlassen und stattdessen oder ergänzend in Bewegung zu meditieren. Ob joggend, gehend, tanzend oder Tennis spielend – Achtsamkeit geht in Bewegung immer und oft viel leichter, als dies der Fall ist, wenn wir still und bewegungslos sitzen. Wobei Nita Sweeney viele viele Jahre in buddhistischen Retreats gesessen (und gelitten hat), bis sie diesen Weg zunächst für sich entdeckt und ausgelotet hat, um ihre Erfahrung dann im vorliegenden Buch weiterzugeben. Herausgekommen ist ein Impulsgeber (statt Ratgeber), mit echten Game-Changer-Qualitäten.

Bewegung in unruhigen Zeiten

Woher kommt eigentlich die Idee, dass wir auf einem Kissen sitzend neben Konzentration auch Einsicht und Befreiung von allerlei mentalem und emotionalem Unrat erlangen könnten? Die Autorin beschreibt, wie buddhistische Mönche (Nonnen gab es eher weniger) ganztägig mit körperlich herausfordernden Arbeiten beschäftigt waren – da lag es nahe, sich als Ausgleich srtill aufs Kissen zu setzen. Die Mönche brauchten kein Krafttraining, kein Joggen – sie arbeiteten hart, saßen ausdauernd, um sich zu erholen und übten TaiChi, Yoga oder Bogenschießen, um wehrhaft zu sein. Wie seltsam, dass sich Millionen Menschen vor allem aus den Industrienationen in dieselbe Haltung bringen wollen, obwohl sie den ganzen Tag schon auf Stühlen rumsitzen und Fitness-Buden benötigen, um muskulär nicht komplett einzuschrumpfen.

Nita Sweeney hat das stille Sitzen jahrelang geübt. Bis sie feststellte, dass Achtsamkeit auch in Bewegung geübt werden kann und einen Lehrer traf, der sie darin unterstützte. Denn wenn es bei der Meditation darum geht, mit allen Zellen und Daseinsebenen vollständig im Moment zu sein und genau das wahrzunehmen, was sich jetzt gerade ereignet, ist Bewegung, vor allem eine, die uns vertraut ist, hervorragend geeignet. Oft besser als die Bewegungslosigkeit des Sitzkissen-Arrangements. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht darum, irgendwie relaxed durch die Gegend zu laufen und dazu zu sagen: Ich meditiere gerade. Es ist völlig in Ordnung, das zu tun, hat aber mit Achtsamkeit-Meditation nichts zu tun. Die braucht einen Fokus, der für einen bestimmten, vorher festgelegten Zeitraum maßgeblich ist. Wenn ich beschließe, meine Aufmerksamkeit über 10 Minuten vollständig auf meinen rechten Fuß zu lenken, kehre ich immer wieder dahin zurück. Was auch immer dazwischen kommt: ich kehre zurück. Wieder und wieder – ich lerne, zu akzeptieren, dass mein Abschweifen normal ist. Und lerne auch, dass sich meine Aufmerksamkeitsfähigkeit im Laufe der Wochen verändert. Alles genau wie beim Sitzen, nur in Bewegung.

Meditation in Bewegung: Übungen, Erfahrungen und hilfreiches Wissen

Nita Sweeney kombiniert verschiedene Aspekte auf überzeugende Art: Grundlage ist immer ihre eigenen Erfahrungen als Marathonläuferin, an manischer Depression Erkrankte, langjährig buddhistisch Meditierende und ganz normale Frau, ausgestattet mit allen menschlichen Zweifeln und Sehnsüchten, die uns allen vertraut sind. Diesen persönlichen Raum erweitert sie durch Berichte ihrer Meditationserfahrungen in Bewegung und macht das Ganze verfügbar durch Übungen und Impulsfragen. Dabei sind nicht die klassischen achtsamen Bewegungs-Arten wie Yoga, Tai Chi, Qi Gong und Co im Fokus, ganz im Gegenteil, es geht um ganz normales, sozusagen alltägliches in Bewegung sein, wie wir es alle sind: gehend, stehend, laufend, schwimmend, manchmal, hoffe ich, auch tanzend oder springend.

Am Anfang, auch des Buches, steht der Fokus - ob wir die Sinne wählen, einzelne Bewegungen oder Körpersensationen – immer gibt es gut verständliche Übungen, die durch ermutigende, humorvolle und weise Worte ergänzt werden. Die großen Meditations-Störenfriede Schmerz, Gedankenchaos und Gefühls-Wirrwarr bekommen eigene Kapitel, ebenso die Frage, ob Meditation beim Umgang mit ganz normalen Alltags-Problemen helfen kann. Im zweiten Teil geht's um das Drumherum: zum Beispiel um die Frage, woher die Übungen ursprünglich kommen (aus dem Buddhismus, dort ist die Autorin spirituell zu Hause), was Meditation und Trauma- bzw. Psychotherapie gemeinsam haben und was dabei wichtig ist zu berücksichtigen, wie hilfreich eine Gruppe ist, was dabei hilft, eine regelmäßige Praxis zu etablieren und wie es gelingt, dranzubleiben.

Und ja, der Inhalt des Buches hat das Potenzial, zu mehr mentaler Gesundheit, Wohlbefinden und Klarheit zu führen, wenn...

Wie immer bei solchen Büchern müssen sie auf guten, entsprechend vorbereiteten Boden fallen: Wenn Du also schon Meditationserfahrung hast und das Gefühl, es täte Dir gut, achtsamer, gelassener und zufriedener zu sein und wenn Du darüber hinaus zu den Menschen gehörst, die mit Übungen und Impulsen aus Büchern gut gehen können, dann ist dieser Titel ein echtes Geschenk. Sicher auch, wenn Du schon irgendwo meditierst, vielleicht auch schon länger, und gut einen Impuls nutzen kannst, der dein stilles Sitzen durch Bewegung ergänzt.

Das Buch ist umfangreich, die Übungen reichen sicher für ein ganzes Leben, die weisen Worte und warmherzigen Ermutigungen sowieso. Nita Sweeney erinnert die Leser:in immer wieder sanft daran, sich nicht zu viel vorzunehmen, nicht ungeduldig schnell die Übung zu wechseln, nicht zu viel zu machen und vor allem, nicht aufzugeben, sondern so offen wie möglich willkommen zu heißen, was jetzt gerade ist.

Ein tolles Buch, das wirklich allen zu empfehlen ist, die gerne tanzen, springen, turnen, wandern und bisher immer das Gefühl hatten, Achtsamkeitsmeditation wäre deshalb leider nix für sie.