Selbstfürsorge: Bewusstes Atmen

Die heilende Kraft des Atems

Durchatmen im herbstlichen Wald unter blauem Himmel
© Pixabay von Gennaro Leonardi
12. Oktober 2024 von Martina Seifert

Wenn die Tage kürzer und kälter werden, fühlen wir uns oft müde, niedergeschlagen und ohne Antrieb – eine milde depressive Verstimmung macht sich bemerkbar: der Herbstblues. Wir rutschen von einem Energietief ins nächste. Bewusstes Atmen ist eine einfache und natürliche Methode, um Energie zu schöpfen, den Kopf frei von Grübeleien zu bekommen und den Herbstblues einfach wegzuatmen.

Warum der Atem so wichtig ist

Unser Atem begleitet uns vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug, doch die meisten Menschen atmen viel zu flach und unbewusst. Stress, Anspannung und Bewegungsmangel führen dazu, dass wir nur etwa 30 % unserer Atemkapazität nutzen. Tiefes, bewusstes Atmen verbessert nicht nur das allgemeine Wohlbefinden, sondern kann auch Angst und Stress signifikant reduzieren. Kein Zufall also, dass Entspannungsmethoden wie die progressive Muskelentspannung, das autogene Training, Yoga oder auch die Zen-Meditation mit dem Atem arbeiten.

Der Atem reguliert Körper und Psyche. Das ist keine Hexerei, sondern reine Biologie. Eine ausreichende Sauerstoffversorgung ist entscheidend für die Funktion unseres Gehirns und kann Müdigkeit und Konzentrationsschwäche entgegenwirken. Ein entschleunigter Atem kann sogar unseren Blutdruck senken, sodass sich im Idealfall Blutdrucksenker erübrigen. Jede und jeder, der akut Stress verspürt, kann vom bewussten Atmen profitieren, selbst Patient:innen mit Asthma, Ängsten oder Schlafstörungen.

Fünf Atemübungen gegen den Herbstblues

Das Atmen vollzieht sich, ohne dass wir etwas dazu tun müssten, wie die Verdauung, der Herzschlag oder die Pupillenreaktion der Augen – mit dem Unterschied, dass wir den Atem bewusst beeinflussen können. Die Atmung ist die einzige Vitalfunktion, die sich willentlich steuern lässt. Mit fünf einfachen Atemtechniken, die sich problemlos in deinen Alltag integrieren lassen, kannst du dich in kürzester Zeit vitaler und ausgeglichener fühlen.

Der Morgen-Allrounder: frisch in den Tag starten

An trüben Herbsttagen fällt das Aufstehen oft besonders schwer. Die erste Atemübung gleich nach dem Aufwachen bringt dir frische Energie und hilft dir, den Tag mit mehr Freude und Zuversicht zu beginnen. Danach fühlst du dich wach und aktiver.

Übung: Stelle dich ans offene Fenster und atme tief in den Bauch ein und wieder aus. Spüre, wie der Sauerstoff deinen Körper belebt und dir neue Kraft schenkt – wie ein klarer Bergbach, der dir Lebensfreude und Vitalität zufließen lässt.

Atemzüge verlängern: mehr Sauerstoff, weniger Müdigkeit

Viele von uns atmen im Alltag nur sehr flach. Weniger Sauerstoff gelangt in den Körper und Müdigkeit und Antriebslosigkeit nehmen zu. Studien haben zudem bewiesen, dass Atemtechniken wie das "Coherent Breathing" nicht nur Stress und Angst mindern, sondern auch die kognitive Leistung und emotionale Selbstregulation verbessern können. Das heißt, mit dieser Technik kannst du nicht nur mehr Energie tanken, sondern auch deine mentale Klarheit fördern. (Quelle: https://www.nature.com/articles/s41598-023-49279-8)

1. Übung: Zähle beim Ein- und Ausatmen mit und versuche, die Dauer der Atemzüge langsam zu steigern. Bleibe dabei entspannt – so wie ein Baum, der fest verwurzelt ist und gleichzeitig mit den Winden tanzt.

2. Übung: Auch mit der 4711-Methode lässt sich der Atem entschleunigen und du kannst deinen Körper in einen tiefen Entspannungszustand versetzen. So geht's: Komm in eine entspannte, aufrechte Position. Schließe den Mund und atme ca. 4 Sekunden durch die Nase. Lege eine Atempause ein und zähle dabei bis 7. Atme nun durch den Mund aus und zähle dabei nindestens 8 bis maximal 11. Wiederhole diesen Atemzyklus mindestens dreimal.

Auch Naturgeräusche wie gleichmäßiges Meeresrauschen können deinen Atem verlangsamen. Die aufschlagenden Wellen bieten dir den passenden Rhythmus. Musikhören oder Singen und Chanten können ebenfalls heilsam auf den Atem wirken. Das Singen von Psalmen, gregorianischen Chorälen oder Mantren sind jahrhundertealte Riten, die aufgrund des langsamen Atmens u. a. der Selbstberuhigung dienten und dienen.

Nasenatmung: tiefer atmen, klarer fühlen

Die bewusste Nasenatmung kann dafür sorgen, dass mehr Sauerstoff in den Körper gelangt und sich Verspannungen lösen. Studien zeigen, dass die Nasenatmung auch die Funktion des Gehirns verbessert und die Aufmerksamkeit steigert. Was viele nicht wissen: Die Nasenatmung kann direkten Einfluss auf Herz, Kreislauf und Nervensystem ausüben. Die Atmung intensiviert sich und sorgt für eine bessere Durchblutung – auch der Nasenschleimhaut. Das kann insbesondere in Erkältungszeiten wie im Herbst helfen, einer Atemwegsinfektion vorzubeugen oder dieser bereits bei ersten Anzeichen entgegenzuwirken.

1. Übung: Setze dich aufrecht hin und atme tief durch die Nase ein, sodass der Atem bis in die unteren Lungenspitzen strömt. Achte dabei auf die Bewegungen deiner Wirbelsäule. Mit jedem Atemzug fühlst du dich klarer, und dein Geist beruhigt sich – wie Nebel, der sich langsam lichtet und den Blick auf eine schöne Landschaft freigibt.

Tipp: Da trockene und warme Heizungsluft bei unserer Nase zu trockenen Schleimhäuten führen kann, kann sie nicht mehr ausreichend ausführen. Sorge also zusätzlich für ausreichend Luftfeuchtigkeit. Frische Luft, Nasenspülungen oder auch Nasensprays mit Meerwasser können dir helfen, trockenen Nasenschleimhäuten entgegenzuwirken.

Mit jedem Atemzug Lebensenergie aufnehmen

Bewusstes Atmen kann dir helfen, neue Lebensenergie aufzunehmen. Dies wird auch in der Atemtherapie genutzt, um die Lebensqualität zu verbessern.

1. Übung: Stell dir vor, dass du mit jedem Atemzug frische Energie in deinen Körper aufnimmst und diese beim Ausatmen in die Körperteile lenkst, die gerade besonders viel brauchen. Diese einfache Atemlenkung kann deine Vitalität steigern und dir das Gefühl geben, voller Energie zu sein. Fühle, wie die Energie durch deinen Körper fließt und dir neue Kraft schenkt.

Stress wegatmen: ruhiger Atem, ruhiger Geist

Ein unruhiger Geist führt oft zu unruhigem Atem – und umgekehrt. Wenn du dich gestresst oder gedanklich überfordert fühlst, kannst du mit bewusster Atmung deine innere Ruhe wiederfinden. Viele Studien haben bereits gezeigt, dass Atemtechniken effektiv zur Stressbewältigung eingesetzt werden können. (Quelle: https://www.psychiatrictimes.com/view/neurobiology-and-neurophysiology-breath-practices-psychiatric-care)

1. Übung: Atme tief ein und lass beim Ausatmen alle belastenden Gedanken los. Stell dir vor, wie du jeden störenden Gedanken mit der Ausatmung loslässt. Diese Technik hilft dir, dich zu entspannen und den Kopf freizubekommen.

Aller Anfang ist leicht – weitere Tipps

Um die Heilkraft des Atems nutzen zu lernen, kannst du auch zu technischen Hilfsmitteln greifen. Die App Breathe ermöglicht dir, die Zeit für das Aus- und Einatmen individuell einzustellen. Auf dem Bildschirm siehst du eine Kurve, der du mit dem Atem folgen kannst, mit Musik oder sich verändernden Farben. Vergiss nicht, dein Handy vorher auf Flugmodus zu stellen, damit du während deiner Atemübung nicht gestört wirst.

Die Atemtherapeutin Margot Scheufele-Osenberg schuf ein sehr empfehlenswertes Grundlagenwerk der Atemtechnik, das leider nur noch antiquarisch erhältlich ist: "Die Atemschulung. Ein Weg zum seelischen und körperlichen Gleichgewicht." Econ Verlag, Düsseldorf 1987.

Außerdem hast du die Möglichkeit, dich von Anbieter:innen der Atemarbeit beraten zu lassen.

Bewusstes Atmen – ein Schlüssel zu mehr Wohlbefinden

Nutze die Kraft deines Atems, um mit Energie und Lebensfreude durch die dunkle Jahreszeit zu gehen. Am besten fängst du noch heute an, um die heilsame Kraft des Atems selbst zu erfahren. Nimm dir mindestens fünf Minuten Zeit, um eine der Übungen auszuprobieren. Danach überlasse den Atem wieder sich selbst. Beobachte den Atem noch eine Weile. Hat sich der Atemfluss verändert, wie fühlt sich dein Körper an und wie ist dein Geist gestimmt? Vermeide dabei komplizierte Deutungen und Bewertungen. Atme dich frei, schöpfe Energie und sag’ dem Herbstblues ade!

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