Wegwarte – Heilpflanze des Jahres 2020
Heilkraft der Pflanzen
Die Wegwarte ist eine echte Frühaufsteherin. Von Juni bis Oktober wendet sie am frühen Morgen ihre strahlend blauen, manchmal auch rosa oder weißen Blüten gen Osten, um den Sonnenaufgang zu bewundern. Bis mittags folgen die geöffneten Blütenkelche dem Lauf der Sonne. Dann falten sie sich zusammen, um sonnentrunken erst im nächsten Morgenlicht wieder zu erwachen. Dieser Eigenart verdankt die Heilpflanze auch ihre legendenumwobenen Namen Sonnenbraut, Sonnenwende und Sonnenwirbel.
Heilpflanze des Jahres 2020
Seit 2003 kürt eine Jury des NHV Theophrastus Vereins zur Förderung der naturgemäßen Heilweise eine Pflanze zur Heilpflanze des Jahres. Ziel der jährlichen Wahl ist, das allgemeine Interesse an traditionellen Heilweisen zu verstärken und der Naturheilkunde einen gleichwertigen Platz neben der wissenschaftlichen Medizin einzuräumen.
2020 darf sich die Wegwarte (Cichorium intybus) über diese Auszeichnung freuen. Nicht nur ihr betörendes Himmelblau überzeugte die Jury, sondern auch ihr zäher Überlebenswille, der es ihr ermöglicht, selbst an extremen Standorten zu gedeihen. Ihre Heilkraft und Wirkung spiegele laut Verein diese starke Energie wider. Dem Menschen kommt die Wegwarte in vielerlei Form zugute – sei es ihre Schönheit, Heilkraft oder als schmackhafter Wildsalat. Auch Bienen erfreuen sich an den Blüten und Stieglitze lieben ihre Samen.
Aussehen und Vorkommen der Wegwarte
Die Wegwarte bevorzugt trockenen Boden. Sie wächst – wie ihr Name schon sagt – gern an Wegrändern, im Randbereich von Feldern sowie auf Brachflächen und Ödland. Wer allerdings bei bewölktem Himmel oder erst nachmittags nach der Heilpflanze Ausschau hält, kann sie leicht übersehen. Denn sobald die Sonnenstrahlen sich zurückziehen, schließen sich ihre leuchtenden Blüten. Dann sind nur noch die hohen, rau behaarten Blütenstängel zu sehen, deren unscheinbare Blätter kaum ins Auge fallen. Am Boden breiten sich die Blätter der Wegwarte, – die ihrem Verwandten, dem Löwenzahn, ähneln, – gut sichtbar, rosettenförmig in der Erde aus.
Cichorium intybus – Heil- und Wirkkraft
Aussehen, Eigenarten, Heilkraft und Zauber der Wegwarte haben ihr im Laufe der Jahrtausende zahlreiche Namen eingebracht. Allein im deutschsprachigen Raum kommen ihr mehr als 60 Namen zu. Ihr botanischer Name lautet Cichorium intybus, die lateinische Version für Zichorie, Wegwarte, Endivie. Die Wegwarte gehört zur Familie der Korbblütengewächse (Asteraceae) und ist in Europa, Vorderasien, Nordafrika, Amerika, Australien und Neuseeland beheimatet. Zu ihren Inhaltsstoffen zählen Bitterstoffe, Flavonoide, Hydroxycumarine, Inulin, Kaffeesäurederivate und Pentosane.
Als traditionelles Arzneimittel zugelassen kann die Wurzel der Wegwarte leichte Verdauungsbeschwerden lindern sowie gelegentlichen Appetitmangel. Darüber hinaus kommen Kraut und Wurzel in der Erfahrungsheilkunde bei Hautproblemen oder Schwäche zur Anwendung. Auch hat sich die Heilpflanze als wirksames Mittel zu Entgiftung im Frühjahr bewährt.
Die Homöopathie weiß ebenfalls um die Heilkraft der Wegwarte und verarbeitet frische über der Erde liegende Pflanzenteile zur Urtinktur. In potenzierter Form wird diese bei chronischen Lebererkrankungen verordnet. Chirory, die Bachblüte, soll egozentrische Mechanismen und Konditionierungen aufweichen und die bedingungslose Liebesfähigkeit in uns wecken.
Wegwarte in der Küche
Die Wegwarte taucht bereits vor Christus als Gemüse auf der Speisekarte auf. Ob als nahrhafter Salat, Ersatz für Spinat in Saucen oder Suppen oder als Bittertee, die Wegwarte findet in der Küche vielerlei Verwendung. Als Tee aus der fein geschnittenen Wurzel regt das Heilkraut, eine halbe Stunde vor jeder Mahlzeit ungesüßt getrunken, die Magen- und Verdauungssäfte an, sodass gesunde Nährstoffe leichter aufgenommen und ungesunde aus dem Körper heraus gespült werden können.
Die heilsame Geschichte der Wegwarte
Der griechische Arzt Hippokrates (460 – 370 v. Chr.) sprach der Wegwarte kühlende Wirkung zu. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere (24 – 79 n. Chr.) empfahl die Heilpflanze bei Beschwerden an Blase, Leber und Nieren. Die Mystikerin Hildegard von Bingen (1098 – 1148) wusste um ihre verdauungsfördernden Kräfte und der Schweizer Arzt Paracelsus (1493 – 1541) verordnete das Kraut zur Entgiftung sowie zur Behandlung der Lepra. Gegen die Gicht empfahl sie der Arzt und Naturforscher Adam Lonitzer (1528 – 1586) und Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821 – 1897) riet zu Auflagen bei schmerzhaften Entzündungen.
Prominenz erlangte die Pflanze vor allem im 18. Jahrhundert durch die Entdeckung, dass die aufgegossene geröstete Wurzel teuren Bohnenkaffee ersetzten kann. Diese gesunde und kostengünstige Alternative zum Bohnenkaffee – bekannt als "Muckefuck" - kann leicht selbst hergestellt werden: Dazu wird die Wurzel der Wegwarte möglichst im Spätsommer geerntet und anschließend gereinigt, kleingeschnitten und getrocknet. Danach wird diese ohne Fett in einer Pfanne geröstet und zu Pulver gemahlen. Aufgebrüht und abgegossen ähnelt ihr Geschmack dem des Kaffees.
Magie und Zauber der Wegwarte
In der späten Bronzezeit wurde die Wegwarte als pflanzliche Verkörperung der Vegetationsgöttin gesehen. Ihr Gemahl war der Sonnengott, nach dem sie sich mit ihren blauen Augen ständig umschaute. Die Griechen vermuteten in ihr die Nymphe Clytie, Geliebte des strahlenden Sonnengottes Phöbus. In der christlichen Mythologie symbolisiert die bittere Pflanze die Leidensgeschichte Christi. Und auch in der schwarzen und weißen Magie findet die Wegwarte ihren Platz. Besondere Zauberkräfte wurde vor allem der selteneren weißen Wegwarte zugesprochen. Ihre Wurzel sollte die Geburt erleichtern, vor Gefahren und Verletzungen schützen und sogar unsichtbar machen.
Ein Artikel von
Martina Seifert
33617 Bielefeld
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