Weltknuddeltag am 21. Januar

Nährendes Kuscheln für Berührungshungrige

© Dorothea Ristau
20. Januar 2022 von Dorothea Ristau

Hand aufs Herz: Mit was für einem Lebensgefühl gehst du durch dein Leben? Fühlst du dich sicher, geborgen, gehalten, genährt und gewärmt? Erlebst du erfüllende Beziehungen, kannst Wünsche nach Nähe und Kontakt selbstsicher äußern und genauso liebevoll deine persönlichen Grenzen kommunizieren? Hast du Vertrauen in deine Mitmenschen, teilst du gerne Berührungen und traust dich, nach einer Umarmung zu fragen?

Oder fühlst du dich oft unsicher, wankend, vielleicht sogar haltlos? Sehnst du dich nach Wärme, nach Zuwendung und nach dem Gefühl, gesehen zu werden? Ist es für dich eine Herausforderung, deine Wünsche, Bedürfnisse und Grenzen zu äußern oder nimmst du sie vielleicht gar nicht wahr? Und sehnst du dich nach mehr berührenden Momenten in deinem Leben?

Die Bedeutsamkeit von Körperkontakt während der frühsten Kindheit

Das Grundgefühl, mit dem wir später durch unser Leben gehen, und die Art und Weise, wie wir mit unseren Mitmenschen in Kontakt treten, entstehen bereits in der frühsten Kindheit. Macht ein kleines Menschenwesen die Erfahrung, dass seine Bezugspersonen zuverlässig da sind, auf seine Bedürfnisse reagieren und es unterstützen, sich selbst zu regulieren, so erlebt es die Welt als sicheren Ort und zwischenmenschliche Beziehungen als etwas Wohltuendes. Ist das kleine Baby dagegen häufig allein oder wird sogar schreien gelassen, so speichert es in sich ab, dass es auf dieser Welt nicht willkommen ist und dass es sich auf andere Menschen nicht verlassen kann. Und dieses Lebensgefühl – sei es ein positives oder ein negatives – nimmt es dann mit hinaus in sein Leben.

Ein kleines Kind ist von seinen Bezugspersonen vollkommen abhängig, braucht deren Präsenz, um sich sicher und angenommen zu fühlen und ist darauf angewiesen, von ihnen gewiegt, beruhigt, gestillt und in den Schlaf begleitet zu werden. Es braucht also Mama und Papa, um durch sie co-reguliert zu werden und dadurch ein sicheres Bindungsverhalten zu entwickeln.

All dies geschieht in einer vorsprachlichen Zeit, also in der Phase, in der noch nicht über Worte kommuniziert wird. Das Medium, um mit den Bezugspersonen in Kontakt zu treten, und zugleich das wichtigste Sinnesorgan in dieser Zeit ist die Haut.

Du kennst sicher solche Bilder von Neugeborenen, die friedlich auf Mamas Brust schlafen, die getragen werden oder die sich beim Stillen oder Kuscheln vollkommen entspannen. Sie bekommen den regelmäßigen Körperkontakt, den sie brauchen, um sich gut zu entwickeln, zu einem selbstbewussten Erwachsenen heran zu wachsen und Vertrauen in die Mitmenschen zu bekommen.

Berührungshunger, der über den Körper zum Ausdruck kommt

Doch erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts entwickelte sich die Bindungsforschung, sie ist somit noch recht jung und das Wissen kommt nur langsam in der Mitte unserer Gesellschaft an.

So war es bis vor noch nicht allzu langer Zeit nicht üblich, dass mit kleinen Kindern so liebevoll umgegangen wurde. Die Kinder sollten nicht verweichlicht werden, wurden nicht nach Bedarf, sondern nach Uhrzeit gefüttert, sollten lernen, alleine einzuschlafen und man glaubte, schreien stärke die Lunge. Dabei sind all dies Alltagsmomente, in denen sie den Körperkontakt zu Mama oder Papa dringend brauchen, um die aktuelle Situation zu meistern.

Insbesondere Frauen mit Essstörungen spüren diese Folgen, wie mit Kindern umgegangen wurde, bis heute, denn Essstörungen gehen oftmals mit Bindungsverletzungen, Verlustängsten und Kontaktabbrüchen einher. Betroffene Frauen spüren dies zum Beispiel durch Gefühle der Unsicherheit, der Einsamkeit, indem sie zwischenmenschliche Beziehungen meiden oder überangepasst reagieren und versuchen, dem anderen alles recht zu machen.

Der Körper spricht dabei seine ganz eigene Sprache. Denn wer als Baby wenig Körperkontakt genießen durfte und somit im übertragenen Sinne nicht genug genährt wurde, trägt neben all den Unsicherheiten in sozialen Beziehungen einen starken (Berührungs-)Hunger in sich.

Auf den ersten Blick scheint es unerklärlich, warum Frauen in unserer Überflussgesellschaft hungern. Doch schauen wir hinter die körperlichen Symptome, so verstehen wir, dass die Ursache ein seelischer Hunger ist, der über den Körper zum Ausdruck kommt. Die Seele nutzt also den Körper, um auf ihr Leid aufmerksam zu machen. Auch das Überessen oder das Essen und Erbrechen können Versuche sein, um diese innere Leere, die auf seelischer Ebene da ist, zu füllen.

Es bringt also relativ wenig, ausschließlich am Essverhalten zu arbeiten, denn die Ursachen liegen tiefer und wollen auf eben dieser tieferen Ebene angesehen werden. Denn erst, wenn die Ursache beseitigt ist, verschwindet das Symptom, da die Seele nicht mehr darauf angewiesen ist, ihren Hunger über den Körper zum Ausdruck zu bringen.

Kuscheln als nährende, zwischenmenschliche Erfahrung

Erinnern wir uns daran, was in dieser frühen Zeit fehlte: Berührung. Die Vergangenheit lässt sich nicht mehr rückgängig machen, doch im Hier und Jetzt lässt sich viel verändern. Denn Berührungen können auch nachträglich empfangen werden.

Beim nährenden Kuscheln erlebe ich diese tiefgehenden Momente, in denen eine Frau eine gefühlte Ewigkeit in meinen Armen liegt, ich halte sie und streiche ihr sanft über den Rücken. Von außen betrachtet passiert gar nicht viel, doch innerlich erlebt sie die Gefühle von Sattheit, die sie die ganze Zeit vermisst hat, ohne es bewusst gewusst zu haben. Es sind ganz elementare Erfahrungen, diese Nähe und diese Wärme zu erfahren und mit dem gesamten Körper zu spüren, dass ein anderer Mensch zuverlässig und zugewandt da ist.

Und noch mehr wird über die Berührungen transportiert: Das Gefühl, gesehen zu werden und gemeint zu sein. Es gibt wohl keine absichtslosen Berührungen, denn in jeder Berührung schwingt eine Intention mit, die auf die Bedürfnisse der Empfangenen abgestimmt sein sollte.

Beim nährenden Kuscheln ist diese Intention klar. Der Kontakt steht im Fokus und die Berührungshungrige soll genau das bekommen, wonach sie sich so sehr sehnt: Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, Halt, Zuwendung, Berührung, Präsenz, Annahme und Liebe. Mit jeder Berührung lässt sich ein wenig von dieser Absicht transportieren, sodass auf körperlicher Ebene der Berührungshunger und auf emotionaler Ebene der seelische Hunger gestillt werden.

Ganzheitliche Unterstützung dank körperlicher Nähe

Das Hormon, das in einer nährenden Kuschelbegegnung ausgeschüttet wird, ist das Oxytocin – also das Hormon, was auch in einer berührenden Begegnung zwischen Mutter und Kind freigesetzt wird und was bei der Entstehung eines sicheren Bindungsverhaltens, aber auch in anderen zwischenmenschlichen Begegnungen eine wichtige Rolle spielt.

Bekannt ist das Hormon dafür, dass es Gefühle von Vertrauen und Sicherheit stärkt, selbstbewusster und empathischer werden lässt, das Gefühl von Zugehörigkeit fördert, Ängste und Stress reduziert und entspannend wirkt.

Auf diese Weise wird die Frau auf sehr ganzheitliche Weise dabei unterstützt, im sozialen Miteinander neue Erfahrungen zu sammeln. Das lässt die alten Enttäuschungen aus der frühsten Kindheit nicht verschwinden. Doch die Kuschelerfahrungen können neue Horizonte eröffnen und unterstützend wirken, damit die Betroffene im zwischenmenschlichen Kontakt selbstsicherer wird und mehr Vertrauen in die Mitmenschen entwickelt.

Und vielleicht stellt sie ja mit der Zeit fest, dass die Unsicherheit und die Haltlosigkeit, die als Grundgefühl immer da waren, immer mehr in den Hintergrund treten und dass das Leben auf einmal viele im wahrsten Sinne des Wortes berührende Momente bereithält.

Ein Artikel von
Dorothea Ristau

Dorothea Ristau - Traumasensible Körperarbeit bei Essstörungen
Traumasensible Körperarbeit bei Essstörungen
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