Aus dem Leben einer Scharlatanin
Eine persönliche Reise
Zufälligerweise kommen gerade zwei Dinge zusammen: Das Verbot für Heilpraktiker*innen, Eigenbluttherapie auszuüben zu dürfen und mein 25jähriges Jubiläum – Grund genug, einen kleinen, auf jeden Fall subjektiven, politisch nicht relevanten, Rück- und Einblick zu wagen.
Ich bin fast auf den Tag genau seit 25 Jahren HeilpraktikerIn. Es gibt viele von uns, Frauen zwischen fünfzig und sechzig, die in den 1990iger Jahren diesen Beruf erlernten. Leider habe ich keine aussagekräftige Statistik gefunden, aber ein Blick in die Fortbildungen und Verbände zeigt: Frauen mittleren Alters bilden aktuell noch die größte Gruppe, ich bin also in gewisser Hinsicht so eine Art heilpraktischer Prototyp.
Als wir anfingen, waren wir wenige und sicher als Berufsgruppe noch verrufener als jetzt. In Wuppertal gab es damals einen einzigen TCM-Therapeuten, die meisten von uns arbeiteten mit den klassisch-naturheilkundlichen Methoden wie Homöopathie, Phythotherapie, Ausleitungen, Neuraltherapie und Chiropraktik, die Zahl der angewandten Methoden war im Vergleich zu heute übersichtlich, unsere Praxen liefen ausschließlich über Weiterempfehlungen, Werbung zu treiben war verboten. Wir hatten viel investiert, kamen aus ganz verschiedenen, oft nicht-medizinischen, Grundberufen und waren beseelt von dem, was wir tun wollten: Menschen auf ihren Gesundungswegen so natürlich wie möglich zu begleiten. Dieser Beruf war und ist für die allermeisten, die neben dem Mainstream neue Wege zu einer ganzheitlichen Lebensweise suchten, Heimat geworden.
Meine Geschichte steht stellvertretend für viele Kolleg*innen: Wir sind nämlich keine verhinderten Ärzt*innen (ich hätte ja Medizin studieren können), keine Möchte-Gern Psychologischen Psychotherapeut*innen (siehe oben) und auch keine Krankenschwestern im Naturheilgewand. Wir sind Menschen-Begleiter*innen auf hohem Niveau mit enormen Fortbildungsquoten und sehr weit gefassten Qualifikationen. Dazu später mehr.
Berufsfremd quer eingestiegen…
Was trieb eine Fast-Germanistin, Beinahe-Psychologin und Buchhändlerin, einen solchen Beruf zu ergreifen? Der Zufall, wenn es ihn denn gibt. Das Psychologie-Studium war entsetzlich langweilig, das Parkhaus der Uni Bochum so riesig, dass ich mehrfach verzweifelt durch die Hallen lief, um mein Auto zu suchen. Eine Gestalt-Therapeutin riet mir, ich sollte doch Heilpraktikerin werden – da wäre ich viel freier in dem, was ich ausüben dürfte…und da ich schließlich unbedingt Psychotherapeutin werden wollte, es den Heilpraktiker für Psychotherapie aber noch nicht gab, blieb nur die Ochsentour: Drei Jahre Vollzeit-Ausbildung in Medizin, Naturheilkunde, Diagnostik und Co. Als Schülerin der Walter-Knäpper-Schule wurden wir damals Tag für Tag, drei Jahre lang, nach allen Regeln der heilpraktischen Kunst ausgebildet: Wir lernten Homöopathie und die Grundlagen der TCM, konnten püttern und Injektionen setzen, ein Knie auf viele verschiedene Arten klinisch untersuchen, konnten Laborbefunde lesen und, kurz vor unserer Prüfung, differenzialdiagnostische Fälle lösen, die sich gewaschen hatten. Unsere Prüfung war so schwer, dass die Durchfallquote bei mehr als siebzig Prozent lag. An der hohen Durchfallquote hat sich übrigens nichts geändert – und interessanterweise gibt es dazu ausgerechnet eine Spiegelartikel. Es gibt natürlich viele verschiedene Gründe für diese hohe Quote, aber das soll hier nicht Thema sein.
Zurück zu mir: Die Freiheit in der Methodenwahl hatte mich gelockt, die Aussicht, ganz nach meinen Erfahrungen und Talenten handeln zu dürfen, überzeugt. Ich ahnte, was in einer heilpraktischen Praxis möglich sein könnte – auch wenn ich noch nicht wusste, wie mühsam der Weg werden würde. Und wie überraschend.
In jedem Fall habe ich als Homöopathin elf Jahre lang, fünf davon in Vollzeit, hunderte von Menschen begleitet - und zwar nicht gegen, sondern gemeinsam mit einer Reihe von Ärzt*innen, mit denen die Zusammenarbeit dazu führte, unseren Patiient*innen so gut wie möglich zu helfen.
Offizielle Warnung einer Schulleiterin: Sie werden Exotin
Als potenzielle Heilpraktiker-Schülerin wurde ich 1990 zum Erstgespräch eingeladen, damals bei Marga Knümann, die Kette rauchend in ihrem Allerheiligsten darüber wachte, dass ihre Absolventen nach allen Regeln der Naturheilkunde-Kunst ausgebildet wurden – mich störte das damals nicht, ich rauchte selber. Kette. Als Vorbereitung auf dieses Gespräch musste ich einen Fragebogen ausfüllen, der abklären sollte, ob ich erstens geeignet und zweitens ausreichend informiert über den Berufsstand wäre. Ich erinnere mich leider nicht mehr an Einzelheiten, aber eine Frage beeindruckte mich so nachhaltig, dass ich sie nie vergessen habe – sie lautete sinngemäß, ob ich mir im Klaren darüber sei, mit dieser Wahl Teil einer gesellschaftlich nicht anerkannten Berufsgruppe zu werden…und ob ich glaubte, damit gut klarkommen zu können.
Ich war keine dreißig, alles, was gesellschaftlich nicht anerkannt war, war mir höchstvertraut, so dass ich mit dieser Frage kein Problem hatte. Einen kleinen Eindruck, wie exotisch die Berufswahl war, hatte ich schon bekommen, als ich meinen Eltern von meinen Plänen erzählt hatte…sie waren wenig begeistert, dass die akademische Laufbahn schon beendet werden sollte, bevor sie richtig begonnen hatte.
Und ich erinnere mich an eine berufspolitische Strömung aus dem ersten Ausbildungsjahr: Eine Mitschülerin warf enttäuscht das Handtuch, weil eine Drohung im Raum stand, die hieß: Heilpraktiker sollen nicht mehr invasiv arbeiten dürfen. Da ich in diesen 25 Jahren auch viele Heilpraktiker*innen ausgebildet habe, bin ich Hiobsbotschaften gewöhnt, auch wenn mittlerweile aus Botschaften Realität wird. Und das ist wirklich beängstigend.
Viele kamen und blieben: Der Heilpraktiker-Boom
Zurück in die 1990iger: Frisch geprüft, homöopathisch so versiert, wie es einer Anfängerin möglich war, stürzte ich mich ins Praxisleben – und hatte schwere Jahre vor mir – denn damals wurden wir noch weniger als heute darauf vorbereitet, als Kleinunternehmerinnen unser Geld zu verdienen. Das Internet war nur was für Eingeweihte, Flyer gab es nicht…rückblickend weiß ich gar nicht mehr, wie ich gefunden werden konnte. Um nicht zu verhungern und weil ich im Unterrichten nicht ganz untalentiert war, begann ich, angehende Kolleg*innen auf die Prüfung vorzubereiten – und blieb dem Unterrichten fast 20 Jahre treu.
Ich habe hunderte von Menschen auf diese Prüfung und die reale Arbeit als freischaffende Heilpraktiker*in ohne Netz und doppelten Boden ausgebildet. Ich habe erlebt, wie hoch der Einsatz, nicht nur finanzieller Art war und ist, um diesen Beruf auszuüben. Und ich bilde mir deshalb ein sagen zu dürfen: Dieser Berufsstand wird zum allergrößten Teil von enorm verantwortungsvollen, neugierigen und seriösen Menschen gebildet.
Ja, die Freiheit der Methoden treibt manchmal merkwürdige Blüten, es gibt die ein oder andere Therapie, die schwer bis wirklich gar nicht mit naturwissenschaftlichem Denken zu erfassen ist. Aber wer will sagen, dass sie deshalb falsch sind? Wer will sich anmaßen darüber zu urteilen, dass wir als Berufsgruppe dumm, geldgierig und vor allem schädlich für Leib und Seele unserer Klient*innen sind? Sich auf spektakuläre Einzelfälle zu stürzen, in denen so ziemlich alle Regeln der Kunst verletzt wurden, wie es immer wieder passiert, zeugt eher von Unwissenheit und Populismus - aber der ist ja nicht nur an dieser Stelle gerade modern. Die vielen Unkenrufen, die noch vor 20 Jahren Meditation für esoterischen Schmarrn hielten, mussten sich eines Besseren belehren lassen: Achtsamkeitsmeditation ist mittlerweile nicht nur weit verbreitet, eine Kassenleistung gar, sondern auch gut erforscht – und wirksam. Gleiches gilt übrigens für Osteopathie. Die Bewertung sollten wir wohl auch denen überlassen, die zu uns kommen, siehe Umfrage-Ergebnis zu Heilpraktikerbesuchen. Und weiter lernen, staunen, wissender werden. Und natürlich auch in diesem Bereich naturwissenschaftlich forschen. Nur sollten die Ergebnisse in der Wirksamkeitsbewertung nicht der einzige Maßstab sein.
Wer darf was? Therapie oder Begleitung?
Tatsächlich hat sich der Beruf im Laufe dieses Vierteljahrhunderts sehr verändert. Und mit ihm die gesamte Landschaft des zweiten Gesundheitsmarktes, also all der Anbieter*innen, die nicht teil des Kassensystems sind. Es gibt Coaches, allein drei verschiedene „Sorten“ Heilpraktiker mit unterschiedlichen Kompetenzen, Berater*innen aller Art und jede Menge Anwender*innen im Bereich Energiearbeit.
Was uns Heilpraktiker*innen von den vielen Beratungs- und Coachinganbieter*innen zentral unterscheidet: Wir sind medizinisch gut ausgebildet – ja, wer das nicht glauben mag, sollte sich die Prüfungsprotokolle in aller Ruhe ansehen - und dürfen deshalb Diagnosen stellen und Krankheiten behandeln. Genau wie Ärzt*innen, mit Ausnahmen, die gesetzlich geregelt sind.
Wir dürfen also wirklich kranke Menschen therapieren. Genau an dieser Schraube wird gerade heftig gedreht, wir sollen nämlich immer weniger dürfen, was im Klartext heißt: Der Beruf verliert die Grundlage, auf dem er steht – dem eigenverantwortlichen, in der Wahl der Methode freien Behandeln von kranken Menschen. Und das ist für den Berufsstand und die Patient*innen ein echtes Problem.
Die Entwicklung des Gesundheitsfeldes zeigt aber auch: Der Begriff der Erkrankung wird in ganzheitlich denkenden Kreisen zunehmend diskutiert und auch in Frage gestellt. Eine Erkrankung ist nicht mehr in erster Linie damit verbunden, sie medizinisch zu benennen, also eine klassische Diagnose zu stellen, vielmehr geht es darum, auf ganzheitliche und eher individuelle Art nach Ursachen und Perspektiven der Beschwerden zu suchen.
Da wird die Luft schnell dünn, keine Frage. Berichte über Heilpraktiker, die ihren Patienten angeblich empfohlen haben, schulmedizinische Behandlungen abzubrechen, machen schnell die Runde. Dabei wird verkannt, dass es eine sehr bewusste Entscheidung sehr mündiger Patient*innen sein kann, sich ganz auf alternative Methoden einzulassen, auch und gerade, wenn die Erkrankung sogar lebensbedrohlich ist. Eine solche Therapie oder Begleitung erfordert nicht weniger, sondern anderes, durchaus umfassenderes Wissen über die Natur des Menschen und die vielen verschiedenen Perspektiven, die wir dazu einnehmen können.
Dass seriöse Therapeuten keine Heilungsversprechen machen können, wollen und dürfen, ist die gesetzliche wie moralische Basis, auf die wir uns beziehen. Kolleg*innen, die sich daran nicht halten, gibt es überall, auch in den vielen Kassenpraxen mit ihren IgeL-Leistungen – deshalb einen ganzen Berufsstand zu verunglimpfen, verbietet der Verstand und die Fairness. Das gilt übrigens auch für beide Seiten: Häme und Verurteilung helfen nie. Niemandem. Mündige Patient*innen
Heilpraktiker*innen sind keine Wunderheiler*innen – wer das für sich in Anspruch nimmt, sollte natürlich aus dem Verkehr gezogen werden. Aber sie sind auf sehr unterschiedliche Weise darin ausgebildet, Menschen dabei zu begleiten, die eigenen Selbstheilungskräfte und Ressourcen zu mobilisieren. Ob daraus Gesundheit und Heilung entsteht, weiß kein Mensch – das gilt übrigens für jede Intervention, auch für ärztliche.
Ganz zum Schluss…
Ich bin sicher, dass die verschiedenen Berufsgruppen Wege finden müssen und werden, miteinander und nebeneinander ihre Arbeit zu tun – auch wenn die Zeichen gerade anders stehen und wir viel Geduld und jede Menge Ausdauer mitbringen müssen, um nicht zu verzweifeln.
Als Medizin kann aus meiner Sicht nur helfen, mit weitem Geist, klugem Blick und großem Herz zu betrachten, was sich da gerade tut. Und den eigenen Beitrag leisten, wie immer das auch aussehen mag.
Das ist übrigens ein Grund, weshalb ich nicht mehr als Homöopathin arbeite, sondern Heilnetz mache und als Präsenzcoach arbeite: Ich liebe das Thema Ganzheitlichkeit und alle, die dazu ihren Beitrag leisten. Diese Gruppen und Themen so seriös und hilfreich wie möglich zu unterstützen und scheinbar Gegensätzliches miteinander zu verbinden, ist mein Anliegen.
P.S. Was hier zu kurz gekommen ist
- Die selbstverständliche Tatsache, dass das Bild des "Prototypen" nur ein Bild es, weil es natürlich auch viele männliche HP gibt und dass jede Menge junge Kolleg*innen "nachwachsen" fand keinen Platz.
- Die Entwicklung vieler Kolleg*innen, die sich aus der Naturheilkunde heraus in andere Richtungen entwickelt haben wie Energiearbeit, Osteopathie und vor allem auch Psychotherapie, fand keine Erwähnung.
- Die unscharfen Grenzen zwischen Therapie, Beratung und Coaching haben ebenfalls keinen Platz gefunden.
- Es fehlt ein Loblied auf die vielen Ärzt*innen und Kliniken, für die eine Zusammenarbeit mit Heilpraktiker*innen eine Selbstverständlichkeit ist.
- Was einen Extra-Artikel füllen könnte: Wie müsste ein System aussehen, in dem alle Platz haben (dazu könnten wir beim Heilnetz-Kongress 2012 arbeiten)
- Und vieles mehr - aber es sollte ja auch keine umfassende Analyse werden, sondern ein Beitrag zur "Völker-Therapeut*innen-Verständigung"