In Therapie Staffel 2

Mit auf der Couch...

30. Juni 2022 von Conny Dollbaum-Paulsen

Ein Therapieraum, hier weniger gemeint als Zimmer denn als energetisches Phänomen, ist ein gut geschützter Raum, in dem innere Erkenntnis, innere Wahrnehmung, Wachstum und Veränderung gelebt und erfahren werden dürfen – die 2. Staffel von „In Therapie“ zeigt das so eindrucksvoll, eigentlich so, wie es bei einem Dokumentarfilm üblich ist.

In den einzelnen Episoden gelingt eine zweifache „Schutzraumschaffung“ – da entsteht zum einen ein überzeugend inszenierter therapeutischer Raum zwischen dem Psychoanalytiker Phillippe Dayan und der jeweiligen Klient*in. Zum anderen entwickelt sich durch die intensive Teilhabe für die Zuschauenden etwas ähnliches, ein ganz eigener innerer wie äußerer Prozess-Raum. Und obwohl wir den Menschen, deren innere Entwicklung wir sehr genau beobachten dürfen, sehr nahe kommen, hat das Schauen und Beteiligtsein mit Voyeurismus wirklich gar nichts zu tun.

Teil des Prozesses - Teil der Entwicklung

Die Zuschauenden am Bildschirm sind Teil der Prozesse, begleiten vier Menschen in seelischer Not dabei, wie diese sich mit ihren Fragen, Widersprüchen und Leiden an einen Analytiker wenden: oft skeptisch, zu Beginn scheu, auch neugierig mit Fragen, mit denen sie Philippe Dayan (wunderbar verkörpert von Frédéric Pierrot) mehr oder weniger offen konfrontieren und, im Laufe des Prozesses, zunehmend vertrauensvoll.

Vor dem Hintergrund des 1. Lockdown in Paris während der Corona-Pandemie geschieht das, was wirklich gute Therapie ausmacht: es entsteht Sitzung für Sitzung eine vertrauensvolle Beziehung zum eigenen Dasein und aktuellen Leiden, ermöglicht durch die Beziehung zwischen Klient*innen und Therapeut; dabei gibt es natürlich ebenso Rückschritte, Enttäuschungen, Missverständnisse, Übertragungen, Projektionen – also alles, was Therapeut*innen gut kennen. Als Zuschauende sind wir Teil des Therapeutenalltags, weil die Klient*innen nacheinander, Episode für Episode, zu den Sitzungen kommen – diese beginnt an der Tür und endet dort, ganz so, wie es in Wirklichkeit auch geschieht.

So unterschiedlich die Klient*innen sind, so ähnlich ist ihr Ringen mit dem, was sie gerade als ihren herausfordernden Alltag erleben: Robin, der versucht, sich mit der Trennung seiner Eltern zu arrangieren, Lydia, die an krebs erkrankte hochbegabte junge Frau, die versucht, alle Beziehungen zu beenden, ohne über ihre Erkrankung zu sprechen; Alain, der Selfmade-Macho, der auf dem Weg in die berufliche Bedeutungslosigkeit ist; Iris, die mit einer lange zurückliegenden Abtreibung und der unbeantworteten Frage, ob sie eigentlich Mutter sein will, zu kämpfen hat

Viele Wochen dabei

Insgesamt sind es 8 Sitzungen pro Klient*innen, an denen wir teilnehmen dürfen plus, und das gibt dem Ganzen ein ganz besonderes „Echtheits-Gewürz“, den regelmäßigen Supervisionssitzungen des Therapeuten bei der sensationell agierenden Charlotte Gainsbourg als Claire. So erleben die Zuschauenden nicht nur die Sitzungen, sondern nehmen teil am Verarbeitungs- und Analyseprozess des Therapeuten. Das ist gut inszeniert, hervorragend gespielt und ebenso spannend wie berührend.

Für alle, die therapeutisch, vor allem psychotherapeutisch arbeiten, ist die Serie ein Geschenk – ich habe Phillippe Dayan sehr genau über die Schulter geschaut, ihn für viele Interventionen (vor allem für die sehr langen geduldigen Pausen) bewundert und geschätzt und auf jeden Fall viel gelernt.

Die Serie ist in der ARTE-Mediathek zu schauen und noch bis zum 28.09.2022 verfügbar:
https://www.arte.tv/de/videos/102958-001-A/in-therapie-staffel-2-1-35/