Interreligiöser Dialog

Versöhnung der Religionen

11. April 2024 von Conny Dollbaum-Paulsen

Wir sehen, was wir kennen. Sehen wir etwas immer wieder, glauben wir unbewusst, es zu kennen und neigen dazu, das Gesehene für die einzig wahre Wirklichkeit zu halten.

Ein Gott - verschiedene Namen

Wir lesen Nachrichten über Islamismus, marodierende jüdische Siedler und fundamentalistische Abtreibungsgegner; wir hören und lesen diese Nachrichten wieder und wieder, so dass unsere Hirne fast nicht anders können, als zu glauben, diese drei Religionen, die denselben Stammesvater Abraham haben, stünden feindlich zueinander.

Was für entsetzliches, in den Krieg treibendes Missverständnis.

Ganz abgesehen davon, dass vermutlich mehr als 90% aller Christen, Muslima und Juden vor allem ihrem Glauben folgen, sich bemühen, die Gebote und Regeln einzuhalten, die zu Mitmenschlichkeit und liebevoller Toleranz führen, gibt es unzählige Aktivitäten in ganz klein und ziemlich groß, die ein neues spirituelles Narrativ erzählen.

Eine neue Erzählung symbolisiert das 2023 eröffnete Abrahamic Family House in Abu Dhabi – der britisch-ghanaische Architekt David Adjaye schuf eine Gebetsstätte, die Kirche, Synagoge und Moschee in einem Nebeneinander ist. Auf einem sechs Meter hohen Sockel mit einer Ausdehnung von 120 mal 180 Metern stehen drei Gotteshäuser als gleichgroße Würfel von je 30 Metern Länge aus hellem Beton und Kalkstein. Dabei ist die Synagoge ist Richtung Jerusalem orientiert, die Kirche nach Osten, die Moschee nach Mekka.

Alle drei Weltreligionen sind schon von außen an ihrer spezifischen Formensprache erkennbar: Die Spitzbögen der Al-Tayeb-Moschee zeigen das typisch arabische Gitterwerk, die geneigten Beton-Pfeiler der Moses-ben-Maimon-Synagoge erinnern an das Laubhüttenfest, die aufstrebenden Pfeiler und herabhängende Holzlatten der Franziskus-Kapelle an ein Kirchenschiff.

Seinen Anfang nahm das das Projekt bei einem Zusammentreffen von Papst Franziskus und dem sunnitischen Islamgelehrten und Grossimam Scheich Ahmed al-Tayeb am 4. Februar 2019. Durch die Erklärung von Abu Dhabi, das «Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt» wurde der Grundstein für dieses ermutigende Projekt gelegt.

Das Gebäude wurde auf der Kultur-Insel in Abu Dhabi gebaut – die inhaltliche Ausrichtung ist traditionell, so wird die Kirche vom Vatikan verantwortet, die Synagoge betreut ein orthodoxer Rabbiner und die Moschee untersteht der staatlichen Religions-Aufsicht – hier gibt es sicher noch Entwicklunsgsbedarf.

The House of One in Berlin

Seit 2011 gibt es in Berlin ein ganz ähnliches und doch sehr anderes Projekt, das House of One. Die Idee, die drei Religionen in einem gemeinsamen Bauwerk miteinander zu verbinden, ohne sie zu vermischen und unkenntlich zu machen, trägt auch hier. Allerdings ist House of One kein Prestige-Projekt einer Regierung, sondern eher ein Graswurzel-Projekt, an dem viele Menschen beteiligt sind. Die Initiative ging von einer evangelischen Kirchengemeinde aus, die sich mit einer Jüdischen Gemeinde und einer muslimische Dialoginitiative gemeinsam auf den Weg gemacht hat. Obwohl das Haus noch nicht steht, gibt es den Spirit – anders als in Abu Dhabi fehlt der Initiative schlicht das Geld, diesen Bau zu beginnen.

Mehr-Religionen-Häuser

Ob in Wien, Hannover oder Bern – Mehrreligionenhäuser erzählen von der gelebten Sehnsucht der Menschen, den eigenen Glauben in bewusster Verbindung mit anderen spirituellen Formen auszuüben. Die Essenzen der Weltreligionen liegen so nah beieinander, es sind eher die von Menschen über Jahrtausende erzählten Geschichten, die trennend wirken können, weil Dogma und Tradition im Wege stehen.

Und anders als in Berlin oder Abu Dhabi geht das Haus der Religionen in Hannover noch weiter und lädt auch Nicht-Abrahamitische Religionen ein – in Hannover sind auch Buddhist:innen und Hindus vertreten, so dass die Weltreligionen abgebildet werden. Auch hier gibt es sicher Entwicklungsbedarf oder zumindest eine offene Diskussion darüber, wie und wodurch aus einer spirituellen Strömung wie beispielsweise dem Schamanismus eine Form werden kann, die den bisherigen Weisheitstraditionen nahe kommt.

Die Bewegung der Mehr-Religionen-Häuser bzw. der Räte der Religionen ist glücklicherweise ausgesprochen lebendig, was sich unter anderem durch einen Kongress in Hannover Ende Mai zum Thema „Interreligiöse Bildung – quo vadis?“ sowie durch den im September stattfindenden Bundeskongress der Räte der Religionen in Dresden

Ganz ohne eigene Räume aber mit viel Spirit arbeitet das Berliner Forum Religionen - wer sich Teit nimmt, auf dieser Website zu surfen, kann eigentlich nur von einem Gefühl der Zuversicht und Ermutigung beseelt werden: so viel Mut, Vertrauen und verbindende Aktivität zu begegnen, ist einfach wunderbar.