Routine oder Ritual? Der achtsame Gang zum Klo

Heilnetz-Thema im April: Rituale

29. April 2017 von Martina Seifert

Bereits als Kind geben uns Rituale Geborgenheit und Sicherheit. Eine vorgetragene Geschichte zur Nacht, gemeinsame Mahlzeiten oder auch die Eiersuche zu Ostern. Manche Rituale pflegen wir ein ganzes Leben, andere verwerfen wir oder kommen später auf diese zurück, zum Beispiel wenn wir mit Kindern leben.

The same procedure as every day

Rituale bieten nicht nur Kindern emotionalen Halt, sondern auch Erwachsenen. Doch was manchen als große Hilfe erscheint, erleben andere als grobe Einschränkung ihrer Freiheit und Kreativität. Immer dieselbe Leier?! Klingt nach Eintönigkeit und strikt durchgeplantem Leben. Nach Gewohnheiten, die uns einengen, unser Leben bestimmen.

Routine oder Ritual

Vielleicht findet sich ein Zentrum, in dem sich Struktur und Freiheit begegnen, ein offener Raum, der uns Schutz und zugleich Entwicklungsmöglichkeiten bietet, ohne uns einzuengen oder völlig dem Chaos zu überlassen? Vielleicht können wir Gewohnheiten, die zur sinnentleerten Routine geworden sind, durch Rituale ersetzen? Denn ritualisierte Handlungen verleihen unserem Leben ebenso Struktur, Kraft und Richtung – mit dem Unterschied, dass das Ritual nicht automatisiert, sondern achtsam und verantwortungsbewusst ausgewählt und durchgeführt wird.


Rituale intensivieren unser Erleben, helfen uns, starr Gewordenes aufzuweichen und zu verwandeln. Wir agieren oder reagieren nicht mehr automatisch, sondern verlassen gewohntes und scheinbar sicheres Terrain, um uns frei durch den Raum zu bewegen. Wir werden langsamer, bewusster, nehmen uns Zeit – sei es für das Teetrinken am Morgen, das Verspeisen einer nährenden Mahlzeit oder das wöchentliche Telefonat mit der Freundin.

Rituale weiten unser Leben

Egal was wir tun, wenn wir es mit Achtsamkeit tun, sind wir präsent - mit jeder Faser, jeder Zelle anwesend. Wir nehmen die gefüllte Tasse Tee bewusst wahr, trinken langsam Schluck für Schluck, spüren die heiße Flüssigkeit in unserem Mund, die Speiseröhre hinunterrinnen bis in den Magen, der sich erwärmt und entspannt. Achtsam ausgeführt kann jede unserer Handlungen zum Ritual werden, selbst der Gang zum Klo.

Und fallen wir heraus aus der ritualisierten Handlung zurück in die Routine, versuchen wir, uns dessen bewusst zu sein, sodass das Fenster geöffnet bleibt und uns den Blick freigibt in den weiten Raum, in dem alles möglich ist.

Ein Artikel von
Martina Seifert