Berührende Begegnungen

Erfüllender Kontakt oder...

2. April 2021 von Dorothea Ristau

...wie wir mit unseren Mitmenschen in einen erfüllenden Kontakt treten können. Als ich im Januar 2020 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, um mit Menschen über Berührungen in Kontakt zu treten, ahnte ich nicht, was für eine turbulente Zeit mir bevor stand.

Bereits wenige Wochen nach dem Start schickte mich die erste Corona-Welle ins Tätigkeitsverbot und bis heute arbeite ich nur sporadisch, immer wieder mit Unterbrechungen von mehreren Monaten. Doch obwohl ich nur phasenweise als nährende Kuschlerin tätig sein kann, lerne ich viel.

Ein Beispiel: Die meisten Anfragen kommen in den Zeiten, in denen die Corona-Zahlen am höchsten und die Abstandsregelungen am schärfsten sind. Weder möchte ich werten, ob die von der Regierung getroffenen Maßnahmen zu hart sind, noch möchte ich darüber urteilen, ob es verantwortungsvoll ist, in Zeiten hoher Corona-Zahlen nach Kontakt und körperlicher Nähe zu fragen.

Vielmehr beobachte ich: Kontaktbeschränkungen und das wohl in jedem Menschen wohnende Grundbedürfnis nach Kontakt und Nähe passen nicht zusammen.

Doch was bedeutet Kontakt eigentlich?

Wenn wir mit einem anderen Menschen zusammen sind, bedeutet das nicht automatisch, dass wir mit ihm in Kontakt sind. Im Gegenteil: Wir können uns inmitten einer Beziehung sehr einsam fühlen. Um mit unserem Gegenüber in einen echten Kontakt zu treten, braucht es eine innere Verbundenheit.

Eine wichtige Voraussetzung, um sich mit anderen Menschen verbinden zu können, ist, mit sich selbst in Kontakt zu sein. Kenne ich mich? Weiß ich, was mir gut tut? Was brauche ich jetzt in diesem Moment? Und an welchen Stellen möchte ich „Nein“ sagen? Nur, wenn ich mich selbst spüre und freundlich mit mir umgehen kann, kann ich auch freundlich mit meinem Gegenüber umgehen.

In solch einer Begegnung auf Augenhöhe respektiere ich meine Bedürfnisse und Grenzen wie auch die Bedürfnisse und Grenzen meines Gegenübers. Ich sehe also mein Gegenüber und ich sehe mich. Und wir lassen einander so, wie wir sind, ohne die Absicht zu haben, den anderen verändern zu wollen.

Es geht also darum, einander auf Herzensebene zu begegnen, berührbar zu sein und zu berühren. Können wir einander fühlen? Spüren wir, wie es dem anderen geht? Wenn wir einander wirklich erreichen, dann entsteht echter Kontakt. Und dann werden die zwischenmenschlichen Beziehungen sehr erfüllend.

Drei Variablen für erfüllende Beziehungen

Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts erforschte der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers, Begründer der personenzentrierten Psychotherapie und einer der Hauptvertreter der humanistischen Ansätze, drei Variablen, die es für gelingende, zwischenmenschliche Beziehungen braucht:

  1. Kongruenz bedeutet, authentisch zu sein und nicht aus einer über- oder unterlegenden Position heraus zu handeln. Masken werden abgenommen und stattdessen werden die Beteiligten berührbar und begegnen einander auf Augenhöhe.
  2. Empathie meint, sich in das Gegenüber einzufühlen, zu verstehen und dem anderen zu begegnen, ohne zu werten oder zu urteilen. Es geht also darum, dass sich der andere berührt fühlt.
  3. Wertschätzung beschreibt das Akzeptieren des Gegenübers in seiner Individualität und seiner Andersartigkeit. Dabei bietet eine wertschätzende Atmosphäre den Rahmen, in dem sich Menschen einander öffnen können, sodass berührende Begegnungen überhaupt erst möglich werden.

Carl Rogers spricht also ganz basale Bedürfnisse an, die in wohl jedem Menschen schlummern. Denn wer wünscht sich nicht, auf Menschen zu treffen, die berührbar sind und berühren? Wer möchte nicht in einer Atmosphäre leben, in der er sich bedingungslos angenommen und respektiert fühlt? Wer sehnt sich nicht danach, echten, erfüllenden Kontakt zu erleben?

Welche Erkenntnisse können wir daraus ziehen?

Doch momentan müssen wir oft auf diese berührenden Momente mit anderen Menschen verzichten. Mehr noch: Durch die Kontaktbeschränkungen tritt so manche Einsamkeit, die sich langsam aber unaufhaltsam in unser Leben geschlichen hat, stärker zutage. Ablenkungen funktionieren immer weniger, denn durch die herrschende Pandemie finden wir uns auf einmal in genau den Situationen wieder, in denen ein Hin- statt ein Wegschauen immer notwendiger wird.

Was bedeutet das ganz konkret für dich?

Heißt es, dass du zunächst mit dir selbst in Kontakt kommen willst, um dadurch die Grundlage zu legen, auch mit anderen Menschen in einen erfüllten Kontakt treten zu können? Denn nur, wenn du dir selbst authentisch, empathisch und wertschätzend gegenüber treten kannst, wirst du in der Lage sein, auch anderen Menschen auf diese Weise zu begegnen.

Es kann aber auch sein, dass deine persönlichen Beziehungen eine Erneuerung brauchen. Beginnst du mit deinem Partner die schon lange fällige Paartherapie, damit zwischen euch endlich wieder Gefühle der Verbundenheit entstehen können? Schaust du dir die Beziehung zu deiner Mutter an und heilst alte Verletzungen? Wie gehst du mit deinen Kindern um? Forschst du nach, warum du immer wieder gute Freunde verlierst? Wie geht es dir mit deinen Kolleginnen und Kollegen auf Arbeit? Oder willst du eine Beziehung beenden, um dadurch an anderer Stelle umso intensiver in Kontakt treten zu können? In welchen deiner zwischenmenschlichen Beziehungen bist du auch ohne Kontaktbeschränkungen schon lange einsam?

Nutzen wir also die Zeit, uns mit dem Thema des Kontaktes auseinander zu setzen. Damit wir nach Aufhebung aller Kontaktbeschränkungen einander wirklich berühren können.

Ein Artikel von
Dorothea Ristau

Dorothea Ristau - Traumasensible Körperarbeit bei Essstörungen
Traumasensible Körperarbeit bei Essstörungen
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