Der Beifuß (Artemisia Vulgaris)

Nicht nur das perfekte Gewürz für die Advents- und Weihnachtszeit

© Ulrike Sprick
24. November 2015 von Ulrike Sprick

Der Beifuß oder Wilde Wermut ist sicherlich eines der weltweit bekanntesten Heil- und Zauberkräuter.
In der Küche wird Beifuß vor allem gerebelt als Gewürz verwendet, da er seinen intensiven Geschmack auch getrocknet behält. Man gibt ihn an fette Braten und schwere Speisen (Gänse, Schwein, Hammel, Aal, Käsefondue etc.), weil er die Fettverdauung fördert durch Anregung der Säfte-Produktion von Magen, Leber-/Galle und Darm.

Der Beifuß oder Wilde Wermut ist sicherlich eines der weltweit bekanntesten Heil- und Zauberkräuter.
Bei uns war er in vorchristlichen Zeiten ein wichtiger Bestandteil des „Neun-Kräuter-Buschens“, der im August geerntet, gebündelt und bei den Jahreskreisfeiern den Priesterinnen der Erd- und Erntegöttin zum Segnen vorgelegt wurde. So mit Kraft, Dank, Licht und Liebe aufgeladen, trug man ihn heim zum Hausaltar und verwahrte ihn dort für die Herausforderungen der Winterzeit, in der man diese Kräuter bei Krankheiten aller Art einsetzen konnte. Sie galten als heilig, als besonders heilkräftig.

Nach der Christianisierung wurde die Sitte des Kräutersegnens bis in die Jetztzeit erhalten. Noch heute tragen in katholischen Orten wie z. B. Warendorf die Landfrauen die sogenannten „Weihbuschen“ zu Maria Himmelfahrt am 15. August in die Kirche, um sie dort segnen zu lassen.

Die Zusammensetzung dieser Kräutersträußchen war je nach Landstrich unterschiedlich. Überall aber benutzte man Beifuß von jeher als Joker, wenn man mal nicht alle „Grüne Neune“ auffinden konnte. Beifuß konnte im Ernstfall also jedes andere Heilkraut ersetzen. Früher machte man noch keinen Unterschied zwischen dem Beifuß, dem Wilden Wermut, und dem bitteren Wermut (Artemisia absinthium oder A. officinalis). Beide galten als gleich gut heilsam. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß die Wiederentdeckung der Tugenden des jahrhundertelang verwendeten chinesischen Beifußes zur Verleihung des Medizin-Nobel-Preises im Jahre 2015 geführt hat.

Unser Beifuß gehörte nicht nur bei uns zu den heiligen Kräutern. Wie sein Gattungsname Artemisia verrät, nannte man ihn in der Antike im Mittelmeerraum das Kraut der Artemis, der ungebundenen jungfräulichen, d. h. kinderlosen wilden Jägerin. „Mugwort“ heißt er auf Englisch, also etwa „Machtwurz“.

Beifuß war ganz klar ein Frauen-Kraut, weltweit ist seine Anwendung in der Frauenheilkunde verbreitet gegen Unterleibsbeschwerden aller Art, zur Förderung der Geburt oder als Mittel für Unfruchtbare. Eierstockentzündungen wurden mit Beifuß-Fußbädern kuriert. Der Beifuß entkrampft und erwärmt den Unterleib, taugt als Aphrodisiaka „zur Förderung der Lendenkraft“, wie es früher so schön hieß, kann aber auch in hoher Dosierung als Abortivum wirken und ist daher in der Schwangerschaft zu meiden!

Beifuß wirkt reinigend und fäulniswidrig. Man hat ihn als Tee verwendet bei Störungen von Magen und Darm mit üblem Mundgeruch, Blähungen, bei Durchfall, allgemeiner Schwäche, Galle- und Leberleiden, sogar Gelbsucht, Stein- und Blasenleiden. Unter die Betten gelegt, sollte er für guten Schlaf sorgen und Ungeziefer vertreiben (Flöhe, Zecken und Motten). Darum gab man Beifuß auch in Kleider- und Kornkammern. Dazu schnitt man im Frühsommer die hohen Stengel, fegte damit die Böden oder legte einfach den getrockneten Beifuß unter das Bett und unter Schränke und Kommoden.

Aber mehr noch als das: mit Beifuß wurden auch Räucherungen abgehalten bei verschiedensten Heilungs- und Glaubensritualen, es wurden damit Gegenstände, Räume und Orte von schlechten Energien gereinigt und mit dem Rauch böse Geister vertrieben. In Japan nannte man den Beifuß
„das Brennkraut“, japanisch Mogusa, und er wurde die Grundlage für die inzwischen auch bei uns bekannte Moxibustion. Noch heute benutzen ihn die Indianer Nordamerikas zu ihren Ritualen.

Auch unsere Vorfahren benutzten Beifuß seit alten Zeiten als eine der mächtigsten anti-dämonischen Pflanzen zu Räucherungen bei den heiligen Zeremonien der Rau(ch)nächte um den Jahreswechsel herum. Der Teufel fürchtet den Beifuß, und wo Beifußwurzeln an das Haus genagelt sind, können keine bösen Geister herein, das Gebäude ist vor Feuersgefahr geschützt und sicher vor Behexung (nach Ritter v. Perger, 1864).

Einmal im Jahr sollte man das Haus mit Beifuß-Sud putzen: einen großen Topf mit Beifuß füllen, Wasser darüber, aufkochen, abseihen. Das verscheuchte alles, was nicht ins Haus gehörte und klärte die Atmosphäre.

Wer früher Reisen unternahm, sollte Beifuß 8 Tage vor oder 8 Tage nach dem Bartholomäustag, dem
24. August pflücken (bzw. die Wurzel im Zeichen der Jungfrau ausgraben) und in die Schuhe „bei Fuß“ legen. Dann wäre man vor Unfällen, Müdigkeit, Schlangen- oder Hundebissen geschützt, aber auch vor unsichtbaren Gefahren wie bösen Geistern und dergleichen.

Damals trugen manche ein Amulett mit Beifuß bei sich, um sich vor der „Fallsucht“ zu schützen. Heute verwendet die Homöopathie tatsächlich die Artemisia als wichtige Pflanze für das Zentralnervensystem bei Epilepsie, nervösen Aufregungen und Schlaflosigkeit! Auch die Volksmedizin empfiehlt den Beifuß ganz besonders bei Krämpfen (Kinderkrämpfen), Wechselfieber, Nervenkrankheiten, Hysterie und Epilepsie (Wurzelpulver möglichst schon vor Anfällen verabreichen).

Nach einer alten schottischen Sage soll Beifuß sogar die Schwindsucht (TBC) heilen: Als ein Mädchen in Galloway sterbenskrank darniederlag, soll eine Meerjungfrau aus den Wellen des Flusses Clay aufgetaucht sein und gesungen haben: „ Ihr laß sterben das Mädchen in eurer Hand, und doch blüht die Mugwurz rings im Land!“ und man gab der Kranken den Saft der Mugwurz ein, woraufhin sie genas.
Als ein anderes Mädchen an der Schwindsucht gestorben war, erhob sich wieder die Meerfei und sang:

„Wenn sie Nesselsaft tränken im März

und Mugwurz äßen im Mai,

so ginge noch manch fröhliche Maid

munter am Ufer des Clay!“

(Perger 1864, S. 124)

Sammelgut:

Als Gewürz sammelt man Blüten und junge Blätter: obere Triebspitzen kurz vor Beginn der Blütezeit pflücken und rasch an der Luft trocknen. Nach dem Trocknen durch ein Sieb streichen und im Streuer aufbewahren.

Als Heiltee das blühende Kraut ernten (Juni bis September), 1 Teel. Pro Tasse überbrühen, 10 min. ziehen lassen, schluckweise trinken.

Beifuß enthält Bitterstoffe, Gerbstoff und Inulin, ferner ätherische Öle wie Cineol und ein wenig Thujon.

Besonders bekannt ist der Beifuß jedoch als originäres Gewürz für die Weihnachtsgans, darauf deutet schon sein Synonym „Gänsekraut“ hin. Die Gans war ursprünglich ein heiliges Tier der Großen Göttin, der neben Beifuß auch der Apfel und der Wacholder heilig war. Womit füllen wir heute noch traditionell die Gans zum Fest? Jawohl, mit Äpfeln, gewürzt mit Wacholderbeeren und Beifuß! Was sagt uns das?
Wir können wohl erahnen, daß unsere weisen Ahnen den uralten Brauch der Würdigung der Erdgöttin in den Rezepten des Festmahls zur Weihenacht, der Wintersonnenwende, in die heutige Zeit hinübergerettet haben… wie tief muß die Liebe zur gütigen Erdgöttin gewesen sein, daß unsere Vorfahren trotz Androhung der Todesstrafe für heidnisch-heilige Handlungen an ihren alten Ritualen festhielten und sie dem neuen christlichen Glauben sogar geschickt und diskret aufprägten!

Wenn wir beim kommenden Weihnachtsfest einen Gänsebraten auf der Festtafel anschneiden, sollte uns diesmal bewußt werden, daß uns diese Tradition mit unseren Ahnen verbindet, mit ihrer Liebe und Dankbarkeit für die guten Gaben unserer Mutter Erde. Wir können in Demut einen Moment innehalten und uns selbst wahrnehmen als ein Glied in der unendlichen Kette derer, die vor uns kamen, gleich, ob sie Heiden oder Christen waren, und derer, die uns nachfolgen werden; getragen von der Fülle des Segens unserer aller Großen Mutter.

In diesem Sinne: Frohe Weihenächte!

Ulrike Sprick

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Ulrike Sprick

Ulrike Sprick - Kräuterfrau, Lebensberaterin
Kräuterfrau, Lebensberaterin
33442 Clarholz
www.gourmet-wildkräuterküche.de
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