Mitfreude ist wie Mitgefühl – nur krasser
Gedanken zu einem kostbaren Geisteszustand
Mitgefühl kennen wir alle. Das Wort ist in spirituell inspirierten Kreisen eine ganz normal benutzte Vokabel, wir kennen mittlerweile den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl und sind vertraut damit, uns auch mit denen mitfühlend zu verbinden, die weit weg leben oder mit denen wir inhaltlich wie menschlich nicht unbedingt nah sind.
Okay, so weit so gut für uns und alle, die Mitgefühl alltäglich kultivieren, fühlt sich das gut an.
Mitgefühl und Mitfreude: Wer hat's erfunden?
Natürlich gab und gibt es überall auf der Welt quer und tief durch alle Kulturen und Religionen mitfühlendes Handeln – und alle sind sich einig, dass es gut ist, Mitgefühl im Alltag zu leben. In unsere westliche Spiritualität des Christentums hat sich in den letzten 50 Jahren buddhistische Weisheit gemischt, Mitgefühl als erstrebenswerter Geisteszustand hat sich auf diese Weise Faden für Faden in unseren Alltag oder unsere bewusste spirituell Praxis gewebt.
Die grenzenlosen Geisteszustände
Mitgefühl (Sanskrit: Karuna) gehört dort zu den sog. „Grenzenlosen Geisteszuständen“ - die anderen drei lauten Mitfreude (Mudita), liebevolle Güte (Maitri) und Gleichmut (Upeksha). Diese zu üben, zu kultivieren, zu leben, gehört für Buddhist:innen zum Grundhandwerkszeug. Hier soll es nicht um alle vier gehen, sondern nur um die so leicht daherkommende Qualität der Mitfreude. Was bedeutet es eigentlich, mich mit anderen Menschen, denen es gerade so richtig gut geht, vielleicht sogar deutlich besser als mir (!) bedingungslos zu freuen? Was passiert, wenn ich Erfolg, Glück, Erfüllung und Zufriedenheit bei anderen feiere und ihre Freude teile? Wenn meine eigene Situation nullkommanull darin vorkommt, sondern nur das Glück der anderen?
Elternliebe als Vorbild: Bedingungslose Mitfreude
Mütter und Väter kennen das: sie wollen immer nur das Allerbeste für ihre Kinder, sind darin meist total selbstlos und großzügig unterwegs, verzichten selbstverständlich viele Jahre auf die Erfüllung eigener Wünsche um ihren Kindern alles zu ermöglichen, was zu Lebensglück und erfülltem Leben führen kann. Eltern können das. Sozusagen automatisch. Naja, nicht immer, aber im Prinzip.
Das heißt aber auch: Wir alle können das. Auch die ohne eigene Kinder und auch dann, wenn es gar nicht um die eigenen Kinder, um die eigene Familie oder andere uns nahe Menschen geht. Wir können uns auch mit denen freuen, die wir nicht kennen, oder, noch schwerer, mit Menschen, mit denen wir in gefühlter Konkurrenz stehen – mit den beruflich und persönlich Erfolgreichen, den Reichen und Schönen...
Bedingungslose Mitfreude zu üben, heißt: es geht uneingeschränkt um die anderen – um einzelne Menschen oder Gruppen, denen wir alles Gute wünschen. Mehr noch, wir freuen uns, wenn es geklappt hat mit dem guten Job, der großen Liebe, dem Traumhaus und der lange ersehnten Weltreise. Wir freuen uns auf Insta oder LinkedIn mit, wenn andere beruflich so richtig fett erfolgreich sind, vielleicht sogar, und das ist am schwierigsten, in einem Bereich, in dem wir das nicht sind.
Mitfreude ist grenzenlos. Genau wie Mitgefühl – und warum es sich oft viel schwieriger anfühlt, sich mit anderen zu freuen, hat mit unseren kleinen und engen Herzen zu tun, die noch gar nicht verstanden haben, dass dieses immer jammernde und unzufriedene ICH nie satt wird, wenn wir es mit Ego-Futter füttern. Wie viel leichter wird es uns sofort, wenn wir alle Liebesenergie auf das Wohlergehen unserer Mitwesen richten.
Sich vergleichen: Mitfreude muss leider draußen bleiben
Es gibt ein Zitat, von wem ist mir entfallen, das geht so: „Wenn du etwas tun willst, um dich garantiert schlechter zu fühlen, musst du dich einfach nur mit anderen vergleichen“. Wie wahr! Dabei ist sogar egal, ob ich beim Vergleichen besser oder schlechter dastehe – es ist immer die Engherzigkeit, die das Herzenslicht verdunkelt.
Die Lösung: Mitfreude üben von leicht bis schwer
Solltest du die ersten Schritte machen wollen, mehr Mitfreude zu üben, musst du damit vielleicht nicht gleich bei deinen Lieblingsfeind:innen beginnen. Eher bei denen, die dir ganz ganz sehr nah sind, und denen du in der Tiefe deiner Seele nur das Beste wünschst. Und sogar da wirst du merken, wie schnell, Neid, Eifersucht und Missgunst nach oben gespült werden.
Neid? Missgunst? Ja, das sind richtig schreckliche Gemütszustände, wir kennen sie alle: Vielleicht haben wir uns schon ein bisschen damit vertraut gemacht, gehen schon bewusster und vielleicht sogar freundlich mit diesen Schattenseiten unseres Seins um.
Lass uns gemeinsam starten, Mitfreude zu üben - auch und gerade in den sog. Sozialen Medien - lasst uns Freude daran haben, wenn Kolleg:innen dort erfolgreich sind. Lasst uns großzügig sein mit freundlichen Kommentaren, mit Likes, mit dem Teilen "fremder Inhalte", wenn sie uns gefallen. Lasst uns Freude teilen, wenn es anderen gut geht (immer mal vorausgesetzt, dass dies nicht auf Kosten anderer geschieht oder gefaked ist), lasst uns freuen aneinander, ohne das kleine, immer hungrige Wesen in uns, dass noch nicht ganz so weit ist, zu vernachlässigen.
Lasst uns Neid und Misssgunst spüren, erkennen, akzeptieren und gehen lassen! Und bewusst Mitfreude einladen, wo immer das geht.
Gutes Gelingen uns allen.
P.S. Eine Technik, die hilft, wacher mit den Regungen zu sein, die in uns ihr Unwesen treiben, ist die Übung der Achtsamkeit, die verschiedene Anbieter:innen im Heilnetz als Kurs oder in der Einzelbegleitung anbieten.