Wir werden gebraucht!
Interview in der DHZ
Wie ergeht es den Heilpraktikern zu Zeiten von Corona? Was sind die momentanen Herausforderungen, aber auch Chancen? Und weshalb ist der Heilpraktikerberuf so systemrelevant wie nie zuvor? Ein Gespräch mit HP Conny Dollbaum-Paulsen vom Heilnetz.
DHZ: Liebe Frau Dollbaum-Paulsen, gerade in der akuten Phase der Corona-Pandemie war die Telefonberatung des Heilnetzes (siehe Kasten)sowohl für Patienten als auch Heilpraktiker eine wichtige Anlaufstelle. Mit welchen Fragen wendeten sich die Patienten in der akuten Phase der Corona-Pandemie an die Telefonberatung?
Conny Dollbaum-Paulsen: Vor allem in der Lockdownphase war die Verunsicherung enorm. Viele Arztpraxen waren anfangs geschlossen, die öffentlichen Anlaufstellen waren vollkommen überfüllt. Unsere Telefonberatung wurde noch stärker als sonst in Anspruch genommen. In Bielefeld sind wir mit unserer Telefonberatung sogar neben anderen – auch städtischen – Beratungsstellen in einem Flyer der Stadt gelandet. Das hat uns noch einmal die Systemrelevanz von Heilpraktikern stark vor Augen geführt.
DHZ: Und mit welchen Fragen traten Heilpraktiker in der Lockdownphase an das Heilnetz heran?
Conny Dollbaum-Paulsen: Das wichtigste Anliegen war, sachliche Information zu bekommen. Es gab eine große Verunsicherung zu der Frage, was wir jetzt dürfen und was nicht: Darf ich aufmachen, was muss ich dabei beachten?
Wer ist zuständig dafür, mir zu sagen, was ich jetzt darf und was ich nicht darf? Ist es das Gesundheitsamt oder das Landesgesundheitsamt, wie ist das zum Beispiel in Bayern geregelt und wie in Baden-Württemberg? Welches Desinfektionsmittel darf ich verwenden? Wie muss ich meinen Hygieneplan verändern? Fragen über Fragen. Hier haben wir vor allem in den Berufsverbänden eine zuverlässige Quelle gefunden und Informationen zusammengetragen. Denn bei der ganzen öffentlichen Debatte rund um Corona wurden wir Heilpraktiker kaum gesondert als Berufsstand wahrgenommen und erwähnt, sondern mussten uns an Informationen orientieren, die es zu Berufen wie Arzt oder Physiotherapeut gab. Für viele Heilpraktiker wurde die Pandemie zum Brennglas auf die Frage: Wofür ist der Heilpraktiker eigentlich
da? Welche Leistungen decken wir ab, und zwar nicht nur für das eigene Selbstverständnis – denn das ist sehr heterogen -, sondern auch für das Verständnis der Bevölkerung. Es existiert eine Unschärfe in diesem Berufsbild – und die gilt es dringend zu beheben.
DHZ:Wie sind die Heilpraktiker, die sich an das Heilnetz gewendet haben, mit der Situation umgegangen?
Conny Dollbaum-Paulsen: Es gab eine klassische Dreiteilung. Es gab eine große Gruppe von Kollegen, die sehr aktiv und engagiert waren – auch im Kontakt mit ihren Patienten und untereinander. Sie haben sich also vernetzt und sich Antworten erarbeitet auf die Frage: Wie gehen wir konstruktiv mit der Situation um? Was darf ich momentan, und
wie kann ich meine Patienten betreuen? Dann gab es welche, die eher stillhielten und zunächst einmal weitermachten wie bisher. Und dann gab es leider auch jene, die so verunsichert waren, dass sie erstarrt sind und sofort ihre Praxis geschlossen haben – beeinflusst wohl auch durch das momentane Klima von Abmahngefährdung und Heilpraktikerkritik.
Diese Dreiteilung im Berufsstand sehe ich auch insgesamt, und das konnte man – wieder wie mit dem Brennglas – sehr deutlich wahrnehmen. Es gibt zum Glück viele, die sehr aktiv an Themen des Berufsstands wie Berufspolitik, Vernetzung etc. mitarbeiten und mitgestalten.
DHZ: Sind den Kollegen, mit denen Sie gesprochen haben, eigentlich viele Patienten weggebrochen?
Conny Dollbaum-Paulsen: Das ist sehr unterschiedlich. Am schwersten hat es sicherlich die manuell arbeitenden Therapeuten wie Osteopathen und Chiropraktiker getroffen. Hier erholt sich die Situation aber zunehmend. Bei vielen, die alles darangesetzt haben, ihre Praxis offenzuhalten und ihre Patienten auch weiter am Telefon begleitet haben, war kaum ein Rückgang zu verzeichnen. Oft gab es sogar einen Zuwachs an Patienten. Ein großes Thema wurden Online-Beratungen
vor allem für die Heilpraktiker für Psychotherapie.
DHZ: Wie geht es den Heilpraktikern momentan?
Conny Dollbaum-Paulsen: Da würde ich eher von einer Zweiteilung sprechen. Es gibt jene, die sehr gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen, weil sie die Erfahrung gemacht haben: Wir sind wichtig, unsere Patienten brauchen uns. Sie brauchen nicht nur unsere medizinische und naturheilkundliche, sondern auch unsere menschliche Begleitung. Manche haben mir erzählt, dass sie täglich bis zu zehn Stunden mit Patienten telefoniert haben. Das heißt, sie spielten eine große Rolle in der Stabilisierung der Gesamtsituation. Natürlich gibt es auch Kollegen, deren Praxis schon vorher auf der Kippe stand und nicht ganz professionell lief. Viele von denen sagen: Corona hat mir den Rest gegeben, ich höre endgültig auf. Diese gesamte Entwicklung kann man auch als eine Professionalisierungswelle für den Berufsstand verstehen. Es ging und geht
darum, sich zu informieren, mutig zu sein und sich als gesundheitswichtig zu begreifen. Der Dreiklang von Medizin, Naturheilkunde und Psychotherapie, wie er sich im Beruf des Heilpraktikers verbindet, wird enorm gebraucht in der Gesellschaft.
DHZ: Was ist sonst noch wichtig für die Zukunft?
Conny Dollbaum-Paulsen: Wir Heilpraktiker haben nicht die beste Netzwerkkultur. Wir vernetzen uns zwar gut innerhalb der einzelnen Methoden, jedoch nicht genügend über den Tellerrand hinaus. Das muss unbedingt aufhören, und wir sind da auf einem guten Weg, zum Beispiel mit der Gesamtkonferenz Deutscher Heilpraktikerverbände und Fachgesellschaften. Wir müssen uns noch mehr vom Einzelkämpfertum hin in Richtung Vernetzung entwickeln.
In einem zusätzlichen Informationskasten waren folgende Infos zu finden:
HINTERGRUNDWISSEN
Was ist das Heilnetz?
Heilnetz (www.heilnetz.de) ist eine Internetplattform für ganzheitliche Gesundheit und ganzheitliches Leben. Sie wurde 2009 von Conny Dollbaum-Paulsen gegründet, mit der Absicht, ganzheitlich arbeitende Menschen besser zu vernetzen. Über Heilnetz können Menschen werbefrei einen ganzheitlichen Behandler in ihrer Nähe finden oder an jemanden vermittelt werden: Im Heilnetz sind momentan etwa 1400 Adressen von Behandlern und Beratern registriert, davon sind etwa zwei Drittel Heilpraktiker. Außerdem gibt es einen internen Bereich für ganzheitlich arbeitende Menschen, zum Beispiel mit der Möglichkeit, sich fachlich auszutauschen oder miteinander zu kooperieren. Sich kollegial vernetzen kann man in 20 Regionen auch über regelmäßige Präsenzveranstaltungen. Darüber hinaus gibt es eine Telefonberatung, bei der sich Therapeuten und Berater kostenlos zur Verfügung stellen, wenn Menschen gerade ein Gesprächsgegenüber brauchen.
Wir sagen Danke!
Wir bedanken uns bei den ebenso freundlich wie professionell arbeitenden Team-Mitglieder sowie Frau Bierbach in der Redaktion der DHZ für diese Möglichkeit des Interviews. Der Artikel erschien in der DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2020; Nummer 5: Seiten 12–13, www.haug-verlag.de.