Lernen, den Tiger zu reiten

Peter A. Levine: Die persönliche Geschichte eines großen Therapeuten

Erstmalig teilt dieser große Mann der körperorientierten Trauma-Arbeit seine tiefsten Geheimnisse, erzählt seine persönliche Geschichte von frühem Trauma und was diese Erfahrung an innerer Verwüstung hinterlassen hat. Erstmalig dürfen wir als Leser:in teilhaben an Trauma und Heilung und darin liegt das eine Geschenk der vorliegenden Autobiographie. Beim Lesen landet die Leser:in in einem weiten Feld von Mitgefühl, tiefer Weisheit und grenzenloser Menschenliebe, transportiert anhand der eigenen Lebensgeschichte, die sich bezogen auf traumatische Erfahrungen durch nichts von anderen Menschen unterscheidet.

Peter A. Levine. Der Brückenbauer

Und doch unterscheidet er sich von den allermeisten Menschen durch die unfassbar kreative Genialität, die ihn zum Erfinder und Begründer von SE, Somatic Experiencing gemacht hat. Da ist auf der einen Seite der Träumer und Gefühlsmensch, der von den Regungen und Signalen des Körpers fasziniert ist und versucht, diese zu verstehen. Antworten findet er in den 1960Jahren nicht in der Wissenschaft, wohl aber bei den Aborigines und anderen indigenen Kulturen, die nicht den Verstand, sondern die Zwischenräume menschlichen Bewusstseins, wie sie sich in Träumen und Eingebungen wiederfinden, an erster Stelle erforschen. Darin liegt das andere Geschenk.

Zwischen Körper und Gefühl: Somatic Experiencing

Und doch ist Peter Levine durch und durch Wissenschaftler, auf dem Boden der Naturwissenschaft beheimatet, studiert Bio-Physik, beschäftigt sich mit Mathematik und Quantenmechanik, zunehmend auf der Suche nach Verbindungsstücken. Dieser Brückenbau, körperliche Reaktionen und Empfindungen mit neuronalen, physiologisch beschreibbaren Phänomene abzugleichen, zeichnet ihn aus. Die Suche nach den Verbindungen machen SE zu einer der erfolgreichsten und wissenschaftlich fundierten Therapieform, die weltweit angewandt wird. Peter A. Levine wusste, wie wichtig dieser Brückenschlag war, sollten seine bahnbrechenden Beobachtungen nicht als esoterisch-versponnene Hippie-Therapie abgetan werden.

Von weisen Frauen lernen: Ida Rolf und Charlotte Selver

Neben seinen wunderbaren Mentorinnen aus der Körpertherapie wie Ida Rolf und Charlotte Selver, die bereits an der Schnittstelle zwischen Körperstrukturen und Gefühlserleben arbeiteten, ist Peter A. Levine sicher derjenige, dem es gelungen ist, Körpertherapie auch wissenschaftlich anerkannt zu etablieren und auf diese Weise der Trauma-Therapie einen Weg zu bahnen. Welche scheinbaren Umwege er dabei gegangen ist, wie viele Therapiesitzungen er selbst am eigenen Leib erfahren durfte, um auch anhand der persönlichen Erfahrung seine Theorien zu entwickeln, erfahren Lesende in diesem ebenso bewegenden wie inspirierenden Buch.

Ganz besonders faszinierend sind dabei die Analogien aus Mathematik, Chemie, Katastrophentheorie und natürlich Bio-Physik, seinem eigenen Studienfach, die der Autor auf die konkreten körperlichen und seelischen Erfahrungen seiner Patienten anzuwenden beginnt. So formt sich ein im besten Sinne ganzheitliches Therapie-Konzept, das heutzutage weltweit gelehrt und angewandt wird.

Lernen, den Tiger zu reiten

Pioneer in jeder Hinsicht – nicht anders kann mensch ihn beschreiben. Im Buch folgen wir den manchmal verschlungenen und doch naheliegenden Schritten und Gedanken, die letztlich zur Erfindung und Festigung von SE geführt haben. Wie persönlich geprägt dies ist, wieviel wunderbare Fügung und wie überpersönlich das daraus Entwickelte werden durfte, ist beeindruckend und sehr ermutigend.

Das Buch gehört in jede (körper)therapeutische Praxis. Und darüber hinaus zu allen, die wissenschaftlich, therapeutisch, spirituell bzw. an einer Synthese dieser Aspekte interessiert sind.

Peter A. Levine
Lernen, den Tiger zu reiten
Die Autobiographie des wegweisenden Traum-Experten
Kösel Verlag
Gebundene Ausgabe € 24,-